Franziska Pietsch könnte ihre Geschichte als deutsch-deutsche Geschichte erzählen. Dann würde sie von dem Wunderkind handeln, das die DDR fallen ließ, als sein Vater nach einem Konzert im Westen geblieben war.
Aber sie sagt: Es ist keine Opfergeschichte.
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Text: Carolin Pirich
Foto: Julia Sellmann
zuerst erschienen im Süddeutsche Zeitung Magazin
Gegen den Strich
Die Geschichte der Ausnahmegeigerin Franziska Pietsch.
(Süddeutsche Zeitung Magazin)
Sie fragt: Vielleicht möchten Sie mich in Aktion sehen?
Man hätte dann schon mal einen Eindruck.
Sie schlägt vor, dass wir uns in einem Raum der Staatsoper Unter den Linden treffen. Es ist später Vormittag, die Februarsonne hängt milchig hinter Wolken, drinnen ist es stickig, und Franziska Pietsch nimmt den Bogen, greift die Geige am Hals und legt sie in einer fließenden Bewegung unters Kinn. Dann lässt sie die Geige schreien. Von null auf hundert. Die Geige kreischt, jammert, weint. Und dann löst sich der Ton fast in Luft auf, ganz zart. Sie will das so.
(…)
(Im Finale des Michael-Althen-Preises für Kritik 2019)